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Gegen Hunde sein

B. Leinemann

 

Seit einiger Zeit geistert folgender Beitrag auf Facebook herum, der von gutmeinenden Tierfreunden viel geliked wird, mich aber ob seiner Unsachlichkeit, verdrehter Fakten und mangelnder Wissenschaftlichkeit entsetzt:

 

" Strafe

Immer wieder gerne und regelmäßig von fast allen Hundehaltern praktiziert. Ob subtil oder offensichtlich - Strafe ist Strafe. Oft mit dem Totschlägerargument, dass Hunde/Wölfe das untereinander auch praktizieren würden.

Ich habe allerdings noch nie gesehen, dass ein Hund einen anderen bestraft.

Wenn es zwischen zwei Hunden Zoff gibt, dann zum Beispiel, weil der eine dem anderen zu nah kommt, worauf dieser mit einem "bleib mir vom Leib" seinen Individualbereich verteidigt. Sein gutes Recht. Aber keine Strafe.

Oder es werden Ressourcen verteidigt, wie z.B. Futter oder Spielzeug. Letztendlich ein Überlebensinstinkt. Aber keine Strafe.

Auch eine Hundemama straft ihre Babys nicht. Ein Fleischfresser will mit Sicherheit keinen wohlerzogenen, gedeckelten Nachwuchs heranziehen, denn dieser wäre in der Natur nicht überlebensfähig. Die Art muss erhalten bleiben, und nur der Stärkste überlebt. Aber mit Sicherheit nicht der mit den besten Manieren.

Niemals straft ein Hund /Wolf einen anderen, weil dieser seine Sprache spricht, sich zu weit von ihm entfernt oder auf einen Widersacher losgeht oder eine Körperposition auf Geheiß nicht einnnimmt.

Versuchen wir nun unsere Wertvorstellungen durch Strafe auf unseren Hund zu übertragen, werden wir mit Sicherheit auf Unverständnis stoßen. Es ist doch in so einer Art und Weise gar nicht im Programm der Hunde.

Was passieren wird ist jedoch, dass der Hund uns als unzurechnungsfähig, gefährlich, unberechenbar, launisch oder einfach nicht als vertrauenswürdig einstufen wird. Hunde lieben ihren Menschen und würden niemals wie eine Katze einfach die Koffer packen, wenn es ihnen zu Hause nicht mehr gefällt. Aber das Vertrauen zu ihrem Menschen verlieren sie ganz schnell und ganz leicht. Und ist das Vertrauen weg, wird der Hund immer mehr gestraft werden müssen, denn er wird immer weniger "gehorchen". Und so beginnt der Teufelskreis und somit der Frust zwischen Mensch und Hund. Und irgendwann ist das Tier dann gebrochen und zeigt ein sogenanntes Meideverhalten, weil er gelernt hat, dass grundsätzlich alles falsch ist, was er tut. Er kommt in die erlernte Hilflosigkeit.

www.mithundensein.de "

 

Dass wildlebende Wölfe nicht in starrren, aggressiv verteidigten Dominanzhierarchien leben, sondern recht harmonisch im Familienverband, ist ja nun schon kalter Kaffee und sollte sich bei interessierten Hundefreunden längst herumgesprochen haben. Das bedeutet aber eben nicht, dass sie untereinander keine Disziplinarmaßen anwenden! In der neueren kynologischen Fachliteratur hat sich auch längst herumgesprochen, dass Hundeverhalten nicht exakt dem Wolfsverhalten entspricht. Zum einen fehlt wilden Wölfen die Affinität zum Menschen, zum anderen fehlt ihnen auch völlig die durch züchterische Selektion bedingte enorme Verstärkung bestimmter Verhaltensweisen, die einst für die Vielfalt der Arbeitshunderassen gesorgt hat und leider durch die moderne (Familien-)Hundezucht wieder langsam zu einem Einheitsbrei verkommt.

Die Behauptung, Wolfseltern würden ihre Welpen nie strafen „weil sie keine guten Manieren brauchen“ (Leben Wölfe denn in Wohnungen, in Mehrfamilienhäusern, fahren sie Bahn und Bus, werden sie in Restaurants mitgenommen???), ist in der Literatur so natürlich nicht belegt. Die langjährigen Wolfsforscher Bloch (auch Hundeexperte) und Radinger schreiben stattdessen:


„Behauptet wird, Wolfseltern erziehen ihre Kinder nur positiv und ohne Strafe. Fakt ist, Jungtiere lernen nicht nur durch positive Erfahrung, sondern auch durch Verhaltenskorrekturen, die der jeweiligen Situation angepaßt sind. Wenn sie die Erwachsenen nerven, gibt es sofort etwas auf den Deckel. Das bedeutet aber nicht, dass die Kleinen ständig gedeckelt werden. Der Grundtenor ist sozial-freundlicher Natur, was jedoch die Umsetzung gelegentlicher Verhaltenskorrekturen nicht ausschließt.
Behauptet wird, jeglicher Einsatz von Abbruchsignalen führt zu einem generellen Vertrauensverlust und zur Verschlechterung der Bindung zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Abbruchsignale schüren Mißtrauen, weshalb sich Wolfseltern deeskalierend verhalten.
Fakt ist, unsere jahrelangen Kanidenstudien beweisen, dass sowohl nicht körperbetonte Drohsignale (Brummen, Knurren, Fixieren, Lefzen-Anheben) als auch körperbetonte Abbruchsignale (Schnauzgriff, Auf-den-Boden-Drücken, Wegrempeln, Umstoßen) Klarheit schaffen und die Gruppe sogar fester zusammenschweißen.
Auch wenn viele Menschen körperbetonte Abbruchsignale, wie ein konkretes Fellzwicken oder Schulterstoßen ablehnen, zeigen Hunde diese Verhaltensweisen untereinander sehr wohl. Und das stört keinesfalls eine enge Beziehung, eher im Gegenteil. Sie verläuft nach dem kurzen Zurechtweisen ganz normal weiter wie zuvor.“


Beispiel „Bleib“ lernen auf wölfisch: „Ein anderes Mal stand Action auf dem Programmplan der Eltern, schloss aber nicht den Nachwuchs ein. Ein Schnösel wollte jedoch unbedingt dabei sein und versuchte immer wieder, seinem Vater zu folgen. Mehrmals wurde er mit unmißverständlichem Knurren zurückgeschickt, was den Kleinen aber wenig beeindruckte. Schließlich drehte sich der Vater um und schmiss den Junior auf den Boden. Der mußte auf diese Weise lernen, daß er im Land der Pumas und Bären zumindest bis zu einem Alter von ca. 3 Monaten besser im Höhlenbereich bleibt.“
Wer nicht hören will muß fühlen – das ist doch die klassische Interpretation von Strafe!

Die "Expertin" widerlegt ihre Theorien übrigens selber durch ihr Video mit dem schönen Titel „Lucy maßregelt die kleine freche Lilly“. https://www.youtube.com/watch?v=pyhgt1LQTl0
Wie der Titel schon sagt, tut Lucy nach Auffassung der "Expertin" etwas, was es ihren eigenen Worten nach ja angeblich überhaupt nicht gibt: sie maßregelt, in anderen Worten: sie straft. Und mischt sich ein in eine Interaktion zwischen zwei Individuen, von der sie selbst nicht betroffen ist.

Von daher ist die Behauptung "Ich habe allerdings noch nie gesehen, dass ein Hund einen anderen bestraft." glatt gelogen.
(Update: Nachdem ich die "Expertin" darauf hingewiesen hatte, dass sie sich damit selbst widerlegt, hat sie o.g. Video umbenannt in "Lucy sorgt für Ordnung", damit die Maßregelung nicht so offensichtlich ist.)

Hunde sind gut so, wie sie sind. Sie maßregeln/strafen, das ist normal und überhaupt nicht verwerflich. Nur manche Menschen mit ihren merkwürdigen Moralvorstellungen machen ein Drama daraus. Kann man Hunde nicht einfach akzeptieren, wie sie sind? Muß man ihnen unbedingt Engelsflügel anheften, nur um ein Erziehungskonzept zu rechtfertigen?

 

Überhaupt: Die Tatsache, daß Hunde strafen, hat zunächst einmal gar nichts mit menschlichen Erziehungsmethoden zu tun. Es bedeutet nämlich nicht, dass wir nun unsere Hunde zwangsläufig bestrafen MÜSSEN. Wir schnüffeln unseren Fellfreunden ja auch nicht am Hintern, nur weil die das untereinander tun.

 

Aber was ist denn überhaupt Strafe? Es gibt 2 Arten von Strafe bzw. Bestrafung:
1. positive Strafe
2. negative Strafe

In den Begrifflichkeiten liegen keine Wertungen (!!), etwa wie sinnvoll oder gut oder schlecht eine Strafe ist.

Positive Strafe bedeutet, dass ein bestimmtes Verhalten einen unangenehmen Reiz nach sich zieht, es wird also eine unangenehme Konsequenz HINZUGEFÜGT.
Negative Strafe bedeutet, dass nach einem bestimmten Verhalten ein positiver Reiz entfernt wird bzw. ausbleibt, es wird also etwas Angenehmes VERWEHRT oder WEGGENOMMEN.

 

Da der gutmeinende aber uninformierte Tierfreund mit dem Wort Strafe gemeinhin ausschließlich positive Strafe und irgendwelche "Gewalttägigkeiten" assoziiert, werben manche Hundeschulen tatsächlich mit dem Slogan "ohne Strafe" und verschweigen geflissentlich, dass sie eben doch strafen, durch negative Strafe. Man arbeitet mit Lob und Leckerlie und wenn ein Hund etwas falsch macht, bleiben Lob und Leckerlie aus. Negative Strafe, wie gesagt. Aber Strafe ist Strafe!!!!

 

Warum bringt mich ein mit so vielen Fehlern behaftetes Geschreibsel überhaupt so auf die Palme? Nun, weil schon genug falsche Hundemythen auf den hiesigen Hundewiesen herumgeistern, wie z.B. der anscheinend nicht ausrottbare Glaube an den generellen Welpenschutz. Wie oft habe ich das auf Hundewiesen schon mitbekommen, dass ein Hund, der trotzdem einen zu dreisten Grünschnabel zusammenstauchte, als verhaltensgestört bezeichnet wurde!

 

Was passiert denn nun, wenn Hundehalter mit dem festen Glauben, Hunde würden niemals strafen, mit der schnöden Realität konfrontiert werden und deren Hund dann doch mal - wen wundert's? - von einem anderen gemaßregelt wird? Richtig, der maßregelnde Hund wird flux als verhaltensgestört gebranntmarkt, der Ruf nach Ordnungsamt und Wesenstest wird laut und die Bürokratie nimmt ihren Lauf. Das kann so manchen ganz normalen Hund seine Lebensqualität kosten.

 

Der arme Hund wird ständig zu Eigeninteressen instrumentalisiert. Und hier nun wird eine Seite des Hundes komplett negiert, um das eigene Erziehungskonzept zu promoten. Kein bißchen richtiger als die Hardliner, die behaupten, ein Stachelhalsband ahme das Maßregeln einer Hundemutter nach. Nur anders!
Unter Marketing-Gesichtspunkten allerdings eine durchaus clevere Strategie: Man behaupte möglichst oft, Hunde täten dies und jenes einfach nicht, und die Besitzer der Hunde, die es (NATÜRLICH!!) doch tun, sind potentielle künftige Kunden....

 

B. Leinemann